Dr. Angelika Willig: „Rechte sind ahnungslose Waschlappen“ Zu einer These von Peter Töpfer
In seiner jüngst erschienenen Aufsatzsammlung wettert Peter Töpfer gegen „die Rechten“. Gemeint ist damit nicht, wer sich die
Bezeichnung gefallen lassen muß – dann wäre es ein Eigentor – sondern die sich auch selbst gern „rechts“ nennen. Das betrifft eigentlich nur wenige, und schon damit haben wir eine
interessante Feststellung.
Seitdem sich die „Junge Freiheit“ und sogar Alain de Benoist höchstpersönlich von der Bezeichnungen „Neue Rechte“ distanziert
hat (beides in Dieter Steins Schrift „Phantom Neue Rechte“ von 2005), hält nur noch die Fraktion von Karlheinz Weißmann an dem Begriff fest (ausdrücklich noch einmal im Gesprächsband „Unsere Zeit
kommt“ von 2006). Allerdings gibt es weiterhin bewährte JF-Autoren, die sich zur „Rechten“ bekennen, zum Beispiel Günter Zehm, der von Töpfer ebenfalls namentlich in die Pfanne gehauen wird.
Hören wir, was der „Nationalanarchist“ auszusetzen hat: Rechte sind „langweilig und spießig“ und „darüber hinaus böse“.
Rechts sein, heißt „Ordnung schaffen, anstatt daß die Dinge und wir die Chance bekommen, eine Ordnung aus uns selbst entstehen zu lassen“. Rechte sind vom Thema Erziehung besessen und unterdrücken
ihre Kinder. Aber noch schlimmer: Sie haben keinen eigenen Willen, sondern tun immer nur „ihre Pflicht“: „Der Rechte muß Sinn stiften, also Sinn erfinden.“
Wie äußern sich diese Eigenschaften bei dem Buchrezensenten Günter Zehm: darin, daß er Martin Walser, einen nationalen Linken, nicht
versteht. Dann erörtert Töpfer längere Zeit seinen Lieblingsautor Martin Walser und beider Lieblingsphilosophen La Mettrie. Wer beide nicht kennt, hat wenig davon.
Trotzdem: das mit den „Rechten“ stimmt nachdenklich. Es ist etwas Wahres dran.
Ein bisschen erinnert die Zielrichtung übrigens an das Buch über „Carl Schmitt und die deutschen Männer“ von Werner Sombarts
dekadentem Sohn Nikolaus. Nur hat Carl Schmitt den Vorwurf weniger verdient, da er nie ganz vom Katholizismus abläßt. Erst der Protestant ist zu dem leeren Ordnungs- und Staatsfetischismus fähig, den
Töpfer und Sombart hier im Auge haben.
So bedeutungslos der Anarchismus als politisches Prinzip ist, haben anarchistische Einwände doch den Vorteil, die Legitimation
von Herrschaft besonders herauszufordern. Und da müssen wir ehrlicherweise feststellen: einen protestantischen Staat gibt es nicht, weil das Gewissen nach Luther mit der weltlichen Obrigkeit nichts zu
tun hat. Genauso ist es übrigens mit dem berühmten kategorischen Imperativ, der sich ausschließlich auf das Subjekt und seine innere Gesinnung bezieht und ausdrücklich nicht auf politisches Handeln und
politische Verantwortung. So beruht also die „preußische Zucht und Ordnung“ leider auf einem theologisch-philosophischen Schwindel bzw. auf der Tatsache, daß in Preußen das Nachfragen und
Nachdenken nicht allzu hoch im Kurs standen. Nur so ist es auch zu erklären, daß der Preußenkönig keine Probleme mit Voltaire und den Freimaurern hatte. Wo soll die Gottesgnadenschaft herkommen, wenn man
nicht an Gott glaubt, und wo dann die Legitimation der Erbmonarchie?
Preußen ist das Modell für alle „Rechten“, weil hier eine autoritäre Regierung ohne religiöse Begründung einige Zeit erfolgreich
funktioniert hat. Nicht nur, daß die „Sekundärtugenden“ hoch im Kurs standen, es gab praktisch keine Primärtugend. Als Kardinaltugend gilt das effektive Funktionieren schlechthin.
Das ist übrigens das gleiche Prinzip wie in jedem guten kapitalistischen Betrieb, der sich – ebenso wie der preußische Staat –
praktisch ständig im Krieg, nämlich im gnadenlosen Konkurrenzkampf, befindet und von dort seine Ziele vorgegeben bekommt: überleben, gewinnen, Ballast abwerfen, organisieren, rationalisieren,
expandieren. Man braucht sich nur in solchen Konzernen und unter den Mitarbeitern umzusehen: der reine „preußische Stil“.
Leider musste es irgendwann so weit kommen, daß die Effektivität von Privatunternehmen diejenige des säkularen Staates übertraf, einfach
deshalb, weil hier ineffektive Mitarbeiter hinausgeworfen und leistungsfähige Fremdarbeiter angeheuert werden können, während der Staat auch bei größter Sparsamkeit die Uneffektiven irgendwie
mitschleppen muß und auf ein begrenztes Potential angewiesen ist. Aus diesem Grund hat es wenig Sinn, einen neuen „preußischen“ Staat organisieren zu wollen. Die „Rechten“ werden vom Kapital
als überflüssig empfunden, da es längst deren goldenen Regeln übernommen und radikalisiert hat.
Der Staat selbst hat inzwischen ein anderes Problem: nämlich eine neue Sinnstiftung, um die Gemeinschaft wieder zu ermöglichen. Im reinen
protestantischen Staat gibt es keine Gemeinschaft, weil die Seele des einzelnen vor Gott allein ist. Mit den anderen verbindet sie nur die Pflicht zum Gehorsam gegen die Obrigkeit – egal welche, da
dieser Punkt im wesentlichen keine Rolle spielt. Man soll nicht aufbegehren oder sich politisch begeistern, weil beides eine Ablenkung vom persönlichen Bezug zu Gott wäre.
Deshalb ist der politische Kitt einer solchen Gesellschaft auf dem Weg zur Moderne nur noch der „Gehorsam“. Es ist klar, daß diese
Konstellation bereits den Keim zum Individualismus in sich birgt: sobald nämlich die innere Bindung an Gott sich löst, steht der einzelne nur noch seinen eigenen Wünschen gegenüber – und der Staat
ist dazu da, sie zu erfüllen. Schon haben wir jene Problematik, die Bismarck sowohl mit der Sozialgesetzgebung als auch den „Sozialistengesetzen“ zu bekämpfen suchte. Bis heute hat sich das nur
immer stärker fortgesetzt: die Staatsräson besteht in einer Kombination von finanzieller Bestechung und gesetzlicher Reglementierung des „freien“ Individuums.
Leider ist das alles bereits im preußischen Staatsideal und in der Gesinnung des großen Königs angelegt – wenn auch nicht
beabsichtigt und nicht vorausgeahnt. Wir dürfen deshalb keinen Vorwurf machen. Die Vorfahren befanden sich auf der Zielgeraden in die kapitalistische Moderne und konnten nicht anders, wenn sie
„mithalten“ wollten.
Zum Jahr 1806 veranstaltet das „Institut für Staatspolitik“ im November in Berlin ein Kolleg, wo es um die Niederlage Preußens und
die anschließenden Reformen geht. Geheimes Motto: Modell für Deutschland heute.
Eine Verschwörungstheorie besagt, daß Preußen trotz militärischer Überlegenheit verloren hat, weil Offiziere zu den
Freimaurern gehörten.
„Freimaurerisch“ im Sinne von atheistisch-vernunftgläubig war auf jeden Fall die halbe preußische Gesinnung – dies
aber passt nicht zum reaktionären Staatsaufbau. Historisch realisiert ist die aufklärerische Haltung jedoch in der Revolution und im neuen französischen Staat – deshalb siegten die Revolutionsheere.
Dort herrscht kein leerer Gehorsam, sondern revolutionäre Begeisterung – so fatalen Inhalts auch immer. Dort gab es keine Spaltung
zwischen Gott im Herzen und Obrigkeit im Kopf, sondern die totale Hingabe an eine Idee, die mit dem persönlichen Wollen identisch galt.
Deshalb haben die Schöpfer des deutschen Idealismus, Hegel, Hölderlin, Schelling, die französische Revolution zugleich als Angriff und als
Maßstab begriffen und gewusst: wir müssen über Kant und den kategorischen Imperativ hinaus zu einer neuen Religiosität, einer neuen Totalität, einer neuen Identität von Volk und Führung in einer
„Demokratie“ nach griechischem Vorbild.
Was war dann im Wilhelminismus, für „Rechte“ immer noch die gute alte Zeit? In der Philosophie ein „Neukantianismus“, getragen
von jüdischen Gelehrten, die versuchten, einen kritischen Denker zum positiven Wertehüter umzufälschen. Entsprechend bestand auch der Staat aus einem aufgeblähten Preußen, das man zum Reich hintrimmte,
einem Untertan, der Staatsbürger spielte, einer halbherzigen Demokratie und ebenso halbherzigen Kaisertum, einer ungelösten sozialen Frage, einer internationalistischen Großbourgeosie, die den Marxisten
in die Hände arbeitete.
Dieses Reich ist nicht im ersten Weltkrieg untergegangen, sondern im ersten Weltkrieg überhaupt erst entstanden. Und darin steckt
tatsächlich ein Stück Anarchie, als die konstruierte Ordnung, das gespaltene Bewusstsein zusammenbrach und eine existentielle Bedrohung von außen und der eigene Kampfgeist plötzlich das „Ganze“
schufen.
Es gibt einen Zustand, wo die „Aufrechterhaltung“ nur immer neue Schwäche – auch bei äußerem Glanz und Gloria
– hervorruft. Es muß zum Bruch und zum radikalen Neuanfang kommen – das ist die Empfindung der „konservativen Revolution“, etwas, das die „Rechten“ zwar dauernd zitieren, aber nie
verstanden haben.
Warum hat mit Hitler ein Katholik und Österreicher das Reich wiederbegründet? Weil das Volk in den Jahren 1871 bis 1918
kapiert hatte: daß die „preußische Lösung“ nicht in der Lage ist, das zu bieten, worum es nach dem Schwinden des Christentums („Gott ist tot“) vor allem gehen musste: um einen neuen Glauben.
Schon um 1806 hatte man das verfehlt. Die preußischen Reformen sind lobenswert, aber ungenügend gewesen, überwiegend
technizistisch-rational. Die spirituelle Erweckung, wie sie am deutlichsten Hölderlin forderte, blieb aus.
Man hatte Angst, daß nach dem Christentum „nichts“ mehr käme. Angst vor Nihilismus und Anarchie und baute schnell allerlei Gerüste
(Gestell, Gehäuse) auf, um sich bloß irgendwie oben zu halten. Das Ergebnis kennen wir: zunehmende Modernisierung, Massengesellschaft, Geldherrschaft unter dem Deckmantel des Hurra-Patriotismus.
Das Schöne an der Anarchie ist auch, daß es sie nicht gibt. Aber es gibt die Scheinautorität, und irgendwann gibt es nur noch die
Scheinautorität. Das ist das „System“. Auch das reformiert preußische Kleindeutsche besaß schon systemhafte Züge, hängt allerdings noch mit einem Haar an der alten heiligen Autorität. Auf diesem
Haar wollen die „Rechten“ durch den Rest der Geschichte marschieren, ohne es überhaupt zu merken.
In der Philosophie gibt es einen interessanten Protestanten, Sören Kierkegaard, der fordert, jeden Bezug zur Tradition für
einen Augenblick aufzugeben. In diesem Augenblick, der aus der Geschichte fällt, liefert sich der einzelne der Verzweiflung aus. Er riskiert den Sturz in den Abgrund der Qual. Aber was einen dann
auffängt, ist die Wahrheit, und wer einen dann ansieht, ist der Herr.
Bei Jünger, Heidegger, Schmitt taucht das fast hundert Jahre später wieder auf als „Entscheidung“, „Erlebnis“,
„Entschlossenheit“ – als nationales Motiv.
Nein, nein, die Rechten sind so schlecht nicht. Bloß manche, die sich ständig so nennen, sind eben keine und andere, die es keinesfalls
sein wollen, wahrscheinlich doch irgendwie. Da nützt es auch nichts, wenn Töpfer vor lauter Selbstverleugnung neuerdings sogar, „den Westen retten“ will.
(Peter Töpfer: „Den Westen retten! Aufsätze, Geschichten, Gedichte und Bilder 2004 bis 2006“ Berlin 2006, S. 57 - 72)
Angelika Willig: Rezension von Peter Töpfer: „Die Wahrheit – sie sagen und in ihr leben“
Das Interessante an dem Buch sind – wieder – die, für die es geschrieben ist: „die Rechten“. Denn sie erwarten beim Thema
„Wahrheit“ und beim Autor Peter Töpfer, der immerhin im „Verlag der Freunde“ gewagt Revisionistisches veröffentlicht hat, garantiert etwas anderes als Psychotherapie.
Doch darum handelt es sich hier ausdrücklich: um eine Fortsetzung der Psychotherapie mit anderen Mitteln.
Wahrscheinlich sind schon mehr „Rechte“, als man ahnt, bei der netten Psychologin nebenan auf der Couch gesessen und wissen daher
auch, was man dort, wenn man nicht besonderes Glück hat, gesagt bekommt: „Leben Sie Ihre Wahrheit!“
Das Problem ist meist weniger, daß man sie nicht kennt oder nicht zu formulieren wagt, wie Töpfer vorauszusetzen scheint. Die individuelle
Wahrheit besteht in den meisten Fällen aus ehrgeizigen Träumen und einem unüberwindlichen Hang zur Bequemlichkeit. Doch wie setzt man diese tiefinnersten Wünsche in die Realität um? „Adäquatio rei et
intellectus“ lautet die aristotelische Alternative zur „Privatlogik“, wie Alfred Adler das genannt hat.
Es gibt Menschen, die mit ihrer „Privatlogik“ einigermaßen über die Runden kommen oder sogar zum Genie werden. Die Gefahr besteht
jedoch, daß sie damit eines Tages im Gefängnis oder in der Klapse landen, zumindest auf dem Sozialamt. Und ob dort immer das Rettende liegt, muß man die Leute selber fragen.
Auf jeden Fall sind solche psychologischen Mechanismen tatsächlich ziemlich allgemein-menschlich bzw. menschlich-allzumenschlich, weshalb
Juden wie Freud und Adler in diesem Fach, wie andere beim Geld, ihre Neigung zum Abstrakt-Allgemeinen segensreich umsetzen können. Die Schärfe, mit der Alfred Adler den „inneren Schweinehund“
beobachtet, ist nicht einmal von Friedrich Nietzsche erreicht worden.
„Die Wahrheit“ ist wichtig für den, der noch nicht weiß, daß „Rechte“ auch Angst haben, auf dem Klo weinen, ins Bett machen,
Stofftiere halten, Kontaktanzeigen lesen, sich selber peinlich finden und na ja, zur Therapie gehen. Interessant, doch was ist damit gesagt? Weder etwas für noch gegen den Nationalismus.
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